Ich bin kein großer Journalist und beschränke mich normalerweise auf die Bilder – aber dieser Besuch und dieser Betrieb verdienen es, dass ich die Bilder nicht wie sonst unkommentiert hochlade, sondern auch ein paar Zeilen dazu schreibe.
Michael Boyer ist Diplom-Agraringenieur und betreibt ökologischen Gemüsebau in Hevensen, Südniedersachsen – seinen Betrieb habe ich besucht. Die Erträge versorgen eine Solidarische Landwirtschaft (SoLaWi) mit mehreren Abholstellen in Bovenden, Lenglern, Lödingsen, Hardegsen, Hevensen und Göttingen. Ebenfalls in Göttingen ist der eigene Hof- und Bioladen ansässig. Heute begleite ich Michael und sein Team mit der Kamera. Ich lerne die täglich anfallenden Aufgaben kennen und bekomme einen Einblick in die Arbeit.
Der Tag beginnt in Gladebeck mit einer Lagebesprechung, dann schwärmt das Team aus. Es muss gepflanzt, gepflegt, geerntet und Büroarbeit erledigt werden, letzteres vom Chef – auch, wenn er lieber auf dem Acker wäre.
Mein erster Weg führt mich zur Tomatenpflege in die Gewächshäuser.

Wer in Göttingen jahrelanger Kunde auf dem Wochenmarkt ist, kennt Marion Marzett – und weiß, dass sie den Betrieb nach über 60 Jahren Existenz aufgegeben hat. Ihre Gewächshäuser in Gladebeck stehen jedoch nicht leer – Michael hat seinen Betrieb erweitert und nutzt und bewirtschaftet große Teile.
Schon hier wird mir klar: Ökologischer Gemüsebau in dieser Größenordnung (recht klein) ist Handarbeit. Die Tomaten bedürfen engmaschiger Pflege: Ausgeizen und Schädlingsmonitoring wird von Menschenhand erledigt, das Bestäuben erledigen eigens hierzu eingestellte Hummeln. Geerntet wird nach Reifegrad und Bestimmung. Wird eine Tomate für die SoLaWi geerntet, kann sie reifer sein. Ist sie für den Handel vorgesehen, muss sie einige Tage im Laden überstehen können und wird heller geerntet.




Im Nachbargewächshaus finden sich Zucchini und Salatgurken. Im Gewächshaus summt es, auch hier sind die Hummeln aktiv und bestäuben die großen, satt gelben Blüten. Die Farben sind schön, das Licht durch die Gewächshausfolie ebenmäßig-diffus. Ein schöner Fotospielplatz. Kistenweise Zucchini verlassen das Gewächshaus und wandern in die Kühlung.





Auf den angrenzenden Äckern wachsen versuchsweise verschiedene Kulturen – Paprika, Spargel und einiges, was ich nicht kenne (aber bestimmt irgendwann probieren werde – ich bin Mitglied in der SoLaWi )



Ich drehe noch eine kleine Runde und halte einen kurzen Schnack mit Marion Marzett. Nun, da sie im Ruhestand ist, genießt sie in Ruhe das Frühstück im Innenhof. Ob sie froh ist, dass Michael die Gewächshäuser weiter bewirtschaftet? Na klar! Und so kann sie ab und an über die Schulter gucken und ihm noch den einen oder anderen Kniff zeigen – „obwohl er ja älter ist als ich“ fügt sie lachend hinzu.
Wir führen unser Gespräch weiter – darüber, wie die Zeiten im Gemüsebau (und generell) sich geändert haben. „Heute steht niemand mehr auf dem Markt mit einem Bauernstrauß und verkauft den. Früher gingen die immer gut!“
Zum Schluss verliert Marion noch einige lobende Worte über Michaels Team. Menschen, die mit so guter Laune und Elan bei der Arbeit sind, finde man heute selten – gerade, wenn es körperlicher wird in der Arbeit.


Ich verabschiede mich von Marion und mache mich auf den Weg nach Hevensen zur eigentlichen Hofstelle von Michael Boyer. Der Weg führt mich durch landwirtschaftlich geprägte Gegenden. Monokultur reiht sich an Monokultur – Weizen, Mais, Kartoffeln, soweit das Auge reicht. Eine Stromtrasse zieht sich durch die Landschaft.

In Hevensen angekommen erwartet mich eine kleine Hofstelle. Hätte ich nicht aufgepasst, wäre ich vorbeigefahren. Nur der an der Straße geparkte Transporter und der Schlepper auf dem Hof verraten, dass hier nicht nur gewohnt wird. Der Hof wirkt idyllisch und ruhig, das Team ist auf dem Acker.


Auf meinem Weg dorthin komme ich an der SoLaWi-Abholstelle in Hevensen vorbei. Einmal pro Woche können sich Mitglieder hier Ihr Gemüse abholen. Ein fester monatlicher Betrag ist fällig, je nach Kiste (halber Anteil, ganzer Anteil oder Kinderkiste) gestaffelt. Heute ist es hier ruhig, Abholung ist an einem anderen Tag.


Auf dem Feldweg und am Rand des Ackers sind große Pfützen – untypisch für das trockene Wetter. In ihnen baden und trinken Schwalben, die aufschrecken, als ich mich nähere. Michael wird mir später verraten, dass diese Pfützen als Wildtiertränken immer gefüllt gehalten werden.
Vom Weg höre ich einen alten Traktor und sehe schon das restliche Team, das an diesem Tag im Einsatz ist. Vier Personen sind dabei, Setzlinge zu pflanzen. Eine Person fährt den Traktor, drei pflanzen.


Kistenweise warten die Setzlinge darauf, in den Boden gebracht zu werden. Heute werden unter anderem Salat, Kohlrabi, Petersilie und Koriander gepflanzt.
Beim Pflanzen müssen die Abstände zwischen den Setzlingen und die Tiefe beachtet werden, außerdem muss die Pflanzreihe möglichst gerade sein – ansonsten wird die Pflege und Schädlingsbekämpfung umso aufwendiger. Ohne Assistenzsysteme auf dem Traktor und per Hand eine ganz schöne Aufgabe.





Während der Trecker möglichst langsam und gerade fährt, fräst eine Maschine hinten dran eine Furche in den Boden und häuft, je nach Einstellung, mehr oder weniger Erde daneben auf. In diese Furche werden in regelmäßigen, vorher definierten Abständen die Setzlinge eingesetzt. Es entstehen gerade, regelmäßige Pflanzungen. Je Kultur sind sie nur etwas über einen Meter breit und wechseln sich ab. So wird Schädlingen vorgebeugt und der Boden geschont. Nachteil ist der geringere Ertrag im Gegensatz zur konventionellen Landwirtschaft. Auch der Arbeitseinsatz ist naturgemäß in dieser Form der Bewirtschaftung höher.


Neben den heute neu gepflanzten Reihen kann ich auch den Rest des Ackers begutachten.
Salat reiht sich geordnet und schnurgerade an Salat, Mais an Mais, Fenchel an Fenchel. Es wirkt aufgeräumt, aber abwechslungsreich. Im blühenden Thymian tummeln sich Bienen, Hummeln und Schmetterlinge. Die Pflanzen, die nicht mehr geerntet werden, bleiben als Biodiversitätsanker stehen und dienen als Lebensraum. Auf dem benachbarten Acker, der von einem anderen Landwirt intensiv bewirtschaftet wird, schließt sich ein Meer aus Weizen an.







Nach einer Mittagspause mit dem Pflanzteam (es gibt frisch geernteten Salat und Gurke) und einem Rezeptaustausch für eingelegten Kohl mache ich mich wieder zurück zur Hofstelle. Michael hat mir eine Führung über den Hof versprochen, danach werden wir noch einmal wiederkehren zum Acker.
Michael wirkt sichtlich erleichtert, den Schreibtisch verlassen zu können. „Draußen auf den Feldern kann ich monatelang rackern, ohne dass mir irgend etwas passiert. Da bin ich auch nach 12 Stunden Arbeit meistens glücklich und zufrieden. DAS ist eine Arbeit, die nährt!“ schreibt er in einem seiner wöchentlichen SoLaWi-Newsletter.


Bevor es jedoch auf den Acker geht, sehen wir uns auf dem Hof um. Nach einem kurzen Exkurs zu manchmal strengen Bio-Auflagen (es ist gerade eine Lieferung Bio-Saatgut angekommen), führt Michael mich durch die Gewächshäuser, die zur Anzucht genutzt werden. Nachdem er eine schwere, mit feinem Netz versehen Tür zur Seite gezogen hat, treten wir ein. Dieser mechanische Schutz soll Kohlweißlinge davon abhalten, ihre Eier in die jungen Kohlpflanzen zu legen. Draußen flattert ein Exemplar herum, hineinkommen tut es nicht – der Schutz scheint zu wirken.


Drinnen reiht sich Jungpflanze an Jungpflanze, Michael gießt. „Gießen ist Chefsache“ sagt er. Ich lenke ihn nicht ab und mache Bilder, während er wässert.




Anschließend bekomme ich eine Mitfahrgelegenheit auf dem neuesten Trecker auf dem Hof. Wie das ein zugelassener Sitz sein soll, ist mir allerdings schleierhaft. Ich fühle mich mit meinen 1,93m etwas gequetscht auf dem Soziussitz. Der Weg ist jedoch nur kurz, es geht zurück zum Acker von vorher. Michael hat vor einigen Tagen Möhrensamen ausgebracht. Jetzt gilt es, zu prüfen, ob die Samen feucht genug liegen. Mit dem Messer nimmt er die oberste, staubtrockene Schicht ab. „Gerade so“ befindet er. Heute Abend muss bewässert werden.

Als nächstes wird gestriegelt – eine mechanische Möglichkeit, Unkrautpflanzen zu bekämpfen. Ein großer „Kamm“ wird an den Trecker angehängt und durchkämmt das obere Erdreich. Sitzen die Kulturen richtig, werden sie nicht beschädigt und bleiben im Boden, während junges Unkraut ausgezogen wird. Hierzu müssen Pflanztiefe und die Gerade der Pflanzreihe passen – wie vorhin beim Pflanzen schon gelernt.


Auch, wenn Michael laut eigener Aussage am liebsten alles per Hand machen würde: Die Maschine erledigt hierbei die Arbeit, die eine Person in einer Stunde schaffen würde, in wenigen Minuten. Auch im kleinbäuerlichen Bio-Betrieb kann nicht alles per Hand laufen.
Das Team ist mittlerweile mit den Pflanzarbeiten für den Tag fertig. Nun gilt es, die frisch gepflanzten Kulturen vor Schädlingen zu schützen. Hierzu werden verschiedene Netze ausgelegt: Weiße, engmaschige gegen Kohlweißling über den Kohl, schwarze, gröbere, gegen Hasen über den Salat und alles, was Bitterstoffe enthält. Die scheinen Hasen zu mögen.
Auch hier ist wieder Handarbeit gefragt - das richtige Netz finden, entfalten und enttüddeln, über den staubigen Boden ziehen, ausbreiten und von Hand fixieren.



Ich verabschiede mich vom Pflanzteam und begleite Michael zurück zum Hof. Wir wollen die Ware für den Laden packen, die heute noch geliefert werden muss. Auf dem Hof treffen wir Michaels Frau Kathrin. Sie wird heute die Lieferfahrt ins Göttinger Ostviertel übernehmen. Nach kurzer Absprache fahren Michael und ich gemeinsam zurück nach Gladebeck – neben den Gewächshäusern hat Michael auch die große Kühlung von Marion Marzett übernommen. Die gibt ihm mehr Möglichkeiten, Gemüse zu lagern und so seine Kapazitäten zu vergrößern.


In Gladebeck angekommen führt Michael mich in eine Halle, in der Rollwagen voll Gemüse herumstehen. Alles muss gewogen, protokolliert, verpackt und gesichert werden, damit es die Fahrt im Transporter gut übersteht.





In der Kühlung sind etwa vier Grad – zu kalt für mich und meine Birkenstocks. Ich warte vor der Tür und schaue mich in den Kisten um. Tomaten, Gurken, Zucchini, Salat, Portulak (ganz neu im Sortiment), Frühlingszwiebeln. Mit dem Wissen von heute kann ich erahnen, wie viel Aufwand in jeder dieser Kisten steckt. Michael bietet mir eine Cocktailtomate mit grün-rot gemaserter Schale an. Sie schmeckt süß und sehr lecker. Auch den Portulak probieren wir, Michael fragt mich nach meiner Meinung. Leicht sauer, als Extra Würze im Salat kann ich ihn mir gut vorstellen. Man soll ihn auch kochen können.









Als wir gerade mit allem fertig sind, kommt Kathrin mit dem Transporter. Inzwischen ist es nach 16h, der Laden wartet auf Lieferung. Schnell einladen, kurz besprechen, und dann verabschiede ich mich schon von Michael und fahre Kathrin hinterher.




Meine letzte Station für heute ist der Laden im Göttinger Ostviertel, den wir jetzt ansteuern. Kathrin fährt zügig (sie hat ja die Ware auch gut festgezurrt), wir fahren Schleichwege. Nach etwa 25 Minuten Fahrt und mäßigem Verkehr kommen wir in der Sackgasse, in der der Laden liegt, an. Das Kriterium Regionalität sehe ich als erfüllt an.
Auch hier am Laden befindet sich eine Abholstelle für die SoLaWi, an der einmal pro Woche das Gemüse abgeholt werden kann. Wer dann merkt, dass noch etwas fehlt, macht einen kurzen Abstecher in den gut sortierten Laden (ich spreche aus Erfahrung). Von Backwaren, Molkereiprodukten, Fleisch, vegetarische und vegane Alternativen über haltbare Waren bis hin zu Gemüse aus eigenem Anbau findet sich hier alles, was man so braucht.




Nachdem die Lieferung abgeschlossen ist, verabschiede ich mich von Kathrin und steige in mein Auto. Auf dem Fahrersitz merke ich den anstrengenden Tag in den Knochen. Ich freue mich auf eine Dusche, um den trockenen Staub des Ackers aus dem Bart zu waschen. Während ich mich durch den Feierabendverkehr Göttingens nach Hause schlängele, denke ich über den Tag nach. Über die netten Leute, mit denen ich heute zu tun hatte, die bei anstrengender körperlicher Arbeit in erster Linie Spaß und Zufriedenheit ausstrahlen. Über ökologische Landwirtschaft und das Bild, das wir als Gesellschaft von landwirtschaftlicher Arbeit im Kopf haben – und das sich so immens von der Realität heutiger Großbetriebe unterscheidet. Über das Konzept der SoLaWi und wie sehr es unsere Art zu kochen und die Woche zu planen verändert hat. Darüber, dass ich das Gemüse, das wir jede Woche bekommen, nun noch mehr zu schätzen weiß. Und darüber, was für einen schönen Tag ich hatte. Vielen Dank, Michael, Kathrin, Marion und Team!
Es folgen ein paar unsortierte Eindrücke






















































Vielen lieben Dank fürs Vorbeischauen und Lesen.
Wenn dich an diesem Punkt interessiert, was ich sonst mit meiner Kamera anstelle: Oben in der Menüleiste kannst du dich gern ein wenig umsehen :) Viel Spaß!
Und wenn du weitere Infos über Michael und die Solawi haben möchtest:
HIER ein Link zur Solawi
HIER ist der Laden in Göttingen
HIER ein Artikel, der sich mit Marion Marzetts Hof und der Aufgabe beschäftigt